Zuviel Jerusalem berauscht die Sinne und kann zum Jerusalem-Syndrom führen, also krank machen. Bevor mir das passiert, mache ich mich auf den Weg zum Toten Meer knapp 1,5 Stunden von Jerusalem entfernt. Das volle Kontrastprogram also: Karge Landschaften und dann noch ein Meer (genauer: Salzsee) mit einem Salzgehalt von bis zu 33%. Zum Vergleich: Das normale Mittelmeer kommt gerade mal auf 3,8%. Das reicht zwar nicht für das Guinnessbuch der Rekorde (der 1. Platz geht an den wenig bekannten roséfarbenen Lac Retba im Senegal), dafür aber die Lage: Mit 420 Metern unter dem Meeresspiegel ist es der tiefst liegende See/Meer der Erde. Und der Wasserspiegel sinkt weiter.
Doch auf dem Weg dahin mache ich einen Zwischenstopp an einem weniger bekannten Kleinod. Nach einigen Kurven durch menschenleere Landschaft entlang des Wadi Qelt deutet ein Kreuz an, dass ich fast an meinem Ziel bin: Wer zum Hügel raufgeht sieht es endlich: Wie ein Bienenstock krallt sich das Kloster des heiligen Georg an der Felspalte des Wadi fest.
Nach knapp einem Kilometer lauern auch schon eine Handvoll Händler den spärlich auftauchenden Touristen und Pilger auf. Der Weg zum Kloster ist steil, wer nicht gut zu Fuß ist, nutzt die Chance und mietet einen der bereitstehenden Esel. Ich verzichte auf den Esel und fühle mich später selber wie einer. Ist es der viele Humus oder das viele Gehen durch Jerusalem? Wenigstens spüre ich meine Beine noch – allerdings mehr als mir lieb ist. Warum aber baut jemand solch ein Bauwerk an diesem Ort? Es waren Eremitenmönche, die diesen Lifestyle gesucht haben und bis dahin in den umliegenden Höhlen gehaust haben. Da war ein Kloster am Fels sicher ein Upgrade. Leider wurde es mehrfach zerstört, so dass es in seiner heuten Form seit etwas mehr als hundert Jahren als work in progress steht (oder hängt).
Wir sind übrigens nicht mehr in Israel, sondern im Palästinensischen Autonomiegebiet. Daher wird manchmal von einem Besuch aus Sicherheitsgründen abgeraten. Wenn man die gastfreundlichen griechisch-orthodoxen Einsiedler-Mönche fragt, winken die ab – sie kennen keine Vorfälle. Nach Anbruch der Dunkelheit würde ich mich allerdings auch nicht lange hier aufhalten wollen.
Im Übrigen möchte ich mich noch im Toten Meer treiben lassen und habe noch eine Stunde Fahrt vor mir. Das Ziel ist die Kleinstadt En Bokek am südlichen Ende. Dort gibt es zwei öffentliche Strände, der Rest ist fest in den Händen der Hotels. Wer übrigens an starker Schuppenflechte oder ähnlichem leidet kann sich den Trip von der Krankenkasse zahlen lassen. Leider ist mein zu Schuppen neigender Skalp dafür nicht ausreichend.
Das Wasser ist kälter als ich es erwartet hatte, bislang war ich nur im Sommer hier, da hatte das Tote Meer 30° Wassertemperatur. Aktuell sind es gerade mal 19° – zwei Grad kälter als die Umgebungstemperatur. Auf der Fahrt hatte ich mir noch überlegt, ob man im Toten Meer ertrinken kann, wo doch die hohe Salzkonzentration für so viel Auftrieb sorgt. Ich hatte mir schon Pointen zurechtgelegt, wie – in der Wüste sind schon mehr Menschen ertrunken als im Toten Meer (was stimmt, denn Wadis füllen sich bei Regen rasend schnell mit Wasser). Allerdings verlieren offenbar einige Menschen das Gleichgewicht und schlucken dann das konzentrierte Salzwasser. Das ist lebensbedrohlich, weil es die Lungenbläschen verätzt.
Innerlich und äußerlich gereinigt bin ich bereit für meine Rückfahrt nach Jerusalem. Die interessanten Ziele auf dem Rückweg muss ich wegen der späten Stunde auslassen: Massada, eine Befestigungsanlage auf einem 400 Meter hohen Tafelberg, der heute noch den Widerstandswillen der Israelis symbolisiert. Der botanische Garten vom Kibbuz Ein Gedi, ein Naturparadies mitten in der Wüste. Das Ein Gedi Naturreservat mit Wasserfall und einer natürlichen Wasserrutsche. Und Qumran, wo die berühmten Essener Rollen gefunden wurden, die heute im Museum in Jerusalem ausgestellt sind.
Nach Sonnenuntergang erreiche ich Jerusalem. Jetzt fehlt eigentlich nur noch die spirituelle Reinigung. Obwohl – mir reicht ein Bett – die frühe Aufsteherei macht mich fertig.