Und wieder ruft der Muezzin – und die Sonne kündigt ihren Aufstieg blutrot am Horizont an. Ein Kollege von mir wird mich jetzt sicher wegen meiner blumigen Sprache aufziehen – aber eine Stadt die die Vergangenheit in Jahrtausenden zählt schreit nun mal danach.
Nachdem sich gutes Wetter ankündigt, habe ich kurzfristig beschlossen, einen zweiten Anlauf zum Tempeldom zu wagen. Außerdem wollte ich nochmal in aller Ruhe, ohne Film- und Fotostress, Gott in all seinen drei Erscheinungsformen Jahwe, Gott und Allah für die Gesundheit aller Menschen danken die mir am Herzen liegen. Kann nicht schaden.
Aber diesmal gibt es zuerst Frühstück. Stichwort: Meinl Café. Ich möchte nicht nochmal über den Tempelberg schlafwandeln.
Diesmal nehme ich einen anderen Weg und stehe vor dem Dung Tor. Ursprünglich wurde hier – wie der Name schon andeutet – der Müll aus der Stadt gebracht. Heute ist der Durchgang – Ironie des Schicksals – das nächste Tor zur Westlichen Mauer aka Klagemauer. Durch dieses Tor fahren ständig Taxen und Busse um die Gläubigen auf dem bequemsten Weg zum Gebet zu bringen.
Jerusalem hat heute übrigens sieben zugängliche Tore, zu den bekanntesten und größten zählen das Jaffa-Tor, das Damaskus-Tor und das Löwentor (kürzester Weg zur Al-Aksa und freitags zum Hauptgebet nahezu unpassierbar).
Es gibt noch das Goldene Tor, doch das ist zugemauert. Hier wurde früher zum Versöhnungsfest unser sprichwörtlicher Sündenbock aus der Stadt getrieben, beladen mit allen unreinen Taten des Jahres (der würde heutzutage wohl noch vor verlassen der Stadt zusammenbrechen). Eigentlich würde das Tor direkt zum Tempelberg führen. Es steht geschrieben, dass eines Tages der Messias (so wie damals Jesus) am Ende aller Tage durch dieses Tor marschieren würde (wird?). Vielleicht ließ es deswegen der Osmanenherrscher Suleiman der Prächtige versiegeln. Und dann, sicher ist sicher, wurde davor noch ein muslimischer Friedhof angelegt. Ganz nach dem Motto: Nur über unsere Leichen, Brüder!
Nach dem Dung-Tor ist rechts neben der Zugangskontrolle zur Westlichen Mauer der schmale Zugang zum Tempelberg. Obwohl es schon halb acht ist, hält sich die Schlange noch in Grenzen. Januar, nehme ich an. An der Sicherheitskontrolle kommt mir ein Mann mit Tefillins entgegen, kleine schwarze Kästchen mit Lederriemen, gefüllt mit handgeschriebenen Tora Texten.
Juden binden sie sich zum Gebet um. Denn das „Schma Jisrael“, das jüdische Glaubensbekenntnis und das 5. Buch Mose sagen: „Und du sollst sie (die Worte Gottes) als Zeichen auf deine Hand binden, und sie sollen als Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, und du sollst sie auf die Pfosten deines Hauses und an deine Tore schreiben“. Das erklärt auch warum am Türpfosten eines jüdischen Hauses eine Mesusa angebracht ist. So was passiert, wenn man manche Dinge zu wörtlich nimmt. Wobei die Christen in diesem Sinne mit ihrer unbefleckten Empfängnis auch kaum besser sind.
Aber zurück zu unserem Mann mit den Tefellins: Der wurde wohl beim Reinschmuggeln erwischt und darf sie jetzt brav zum Auto zurückbringen. Merke: Glaubenstechnische Schmugglerware hat auf dem Tempelberg nichts suchen.
Was mich betrifft, weiß ich nicht ob ich am Morgen nicht genug gebetet habe, jedenfalls schieben sich wieder Wolken vor die Sonne. Das Wetter in Jerusalem im Januar ist so launisch wie das Schicksal es mit dem jüdischen Volk war. Was solls, dann kann ich den Ort umso besser auf mich wirken lassen. Zunächst wirkt die ganze Anlage wie ein riesiger Garten. Katzen schleichen über das Gelände auf der Suche nach Beute oder spendablen Gönnern. In den zahlreichen Bäumen zwitschern Vögel und die Krähen krächzen mit den Funkgeräten der Wachleute um die Wette.
Zur Sicherheit stehen hier zum einen Gruppen von israelischen Militärs in Riot Gear, israelische Polizisten sowie Mitarbeiter der jordanischen Waqf, die hier eigentlich das Sagen haben. Letztere sind aber nicht bewaffnet. An der Rampe über die wir Anders- oder Ungläubigen das Gelände betreten lehnen übrigens hunderte von Schutzschilden aus Plexiglas. Eine deutliche Mahnung, dass sich gerade bei den Freitagsgebeten hin und wieder die Spannung der muslimischen Bevölkerung entladen.
Ich habe am Vorabend einen jungen Belgier, gebürtig aus Marokko, kennengelernt. Er hat sich mit einigen Jugendlichen unterhalten. Beide Seiten hätten ihm erzählt, dass sie eigentlich keinen Streit miteinander hätten, die Politiker alleine wären schuld. Er zeigte sich zuversichtlich, dass der Konflikt mit der nächsten Generation abnehmen wird. Ich wünsche mir sehr, dass seine Hoffnung nicht enttäuscht wird – allerdings habe ich vor 20 Jahren das Gleiche gehört. Und damals scheint mir die Politik noch auf einem besseren Weg gewesen zu sein. Mit Israelis über Politik zu diskutieren ist keine gute Idee. Der aktuelle Interims Staatschef Netanjahu hat in etwas das gleiche Standing wie Trump. Entweder sie hassen oder sie lieben ihn.
Dass er noch immer nicht im Knast ist, wo er alleine schon wegen der durchaus bewiesenen Korruptionsvorwürfe hingehört, hat er vermutlich vor allem den russischen Wählern zu verdanken. Die haben sich in Jerusalem rasant vermehrt und schlechter integriert als jede andere jüdische Gruppe (z.B. Äthiopier, Europäer, Amerikaner, Jemeniten). Viele von ihnen bleiben untereinander und sprechen lieber russisch als hebräisch. Zumindest bei der Schrift kann ich es verstehen – die schneint mir eher dafür gemacht worden zu sein, in Steine gemeißelt zu werden.
Man schätzt, dass die russisch-sprechende Community inzwischen auf über eineinhalb Millionen angewachsen ist. Das sind bald 20% der 8,7 Millionen Israelis. Und auch wenn Avigdor Liebermann aus Moldawien ihr Mann ist – lieber wählt die russische Community Netanjahu als einen Liberalen an die Macht zu lassen.
Ich bekomme doch noch ein paar Sonnenstrahlen geschenkt, aber wo auch immer ich hinschaue, immer steht irgendwo eine Touristen Gruppe. Rein ins Allerheiligste darf ich ja bekanntlich nicht und ich kann sonst keinen Ort entdecken der sich heilig oder besonders anfühlt.
Also auf zur Grabeskirche, vielleicht erfasst mich dort als Kind des christlichen Abendlandes eine andere Energie. Die Kirche ist überraschend leer, für einen kurzen Moment kann ich sogar ein Bild vom Salbungsstein machen – ganz ohne Menschen.
Normalerweise ist er umlagert von Menschen, die weiße Tücher darüberwischen, oder was auch immer sie gerade zur Hand haben. Manche träufeln auch noch Rosenwasser über das Ganze.
Neuerdings kommt noch das Selfie hinzu. Der ursprüngliche Brauch war es, in den umliegenden Märkten Tuch zu kaufen, es auf die Länge des Steins auszumessen um dann daraus das eigene Totenhemd anzufertigen.
Und – das nächste Wunder – es steht auch fast keiner vor Jesus Grab an. Also, doch nochmal einen Blick in die kleine Kammer werfen.
Zu dritt knien wir vor dem Stein – wegen der niedrigen Deckenhöhe ist das für mich deutlich bequemer als zu stehen. Und tatsächlich strömt dieser Ort eine angenehme Ruhe aus, die Geräusche aus der Kirche erreichen uns hier nur stark gedämpft. Andächtig lasse ich den Ort auf mich wirken.
Als letztes besuche ich die Westliche Mauer. Der Stein ist kalt und speckig, in den Ritzen stecken die Wünsche tausender Menschen. Nicht nur Juden nutzen dabei den himmlischen Briefkasten des Schöpfers. Deswegen müssen diese Zettel zweimal im Jahr entfernt werden, vor dem Pessach Fest im Frühjahr und dem jüdischen Neujahr im Herbst, um Platz für neue Wünsche zu schaffen. Die entfernte Post an Jahwe wird übrigens keinesfalls profan weggeworfen oder verbrannt. Vielmehr wird der Papierberg ordnungsgemäß nach jüdischer Tradition auf dem Ölberg beerdigt. Falls jemand von Euch dem Gott der Juden etwas mitteilen möchte: Das geht auch online unter https://english.thekotel.org/kotel/send_note/ oder http://begthelord.com/send/. Die Nachricht wird ausgedruckt und in eine der Ritzen gesteckt.
Bei meinem ersten Besuch hatte ich mir Weltfrieden gewünscht – falls der in Arbeit sein sollte, sind Jahwes Wege unergründlich. Diesmal formuliere ich meine Wünsche deutlich bescheidener. Mal sehen, vielleicht klappt es diesmal besser, da ich mich über alle drei großen Religionen an Gott gewandt habe.
Draußen wartet mein Auto und bringt mich in das andere Jerusalem, fernab der Mauern der Altstadt. Auch wenn es heißt „in Tel Aviv wird gefeiert, in Haifa gearbeitet und in Jerusalem gebetet“ hat die Hauptstadt deutlich mehr zu bieten als alte Bauwerke und Religion. Schließlich besteht München auch nicht nur aus Hofbräuhaus und Oktoberfest. Neben fantastischen Restaurants und großartigen Bars gibt es zum Beispiel den bunten Machne Yehuda Market oder kurz Shuk. Der ist deutlich lebendiger und moderner als der Souk in der Altstadt. Am Shabbat hat er natürlich geschlossen, dann aber gibt es jede Menge Graffitis an den Toren der geschlossenen Stände zu sehen.
Gleich um die Ecke liegt Mea Sharim, Heimat und Hochburg der orthodoxen Juden, der Charedim. Einer Autofahrt am Shabbat wird aus gutem Grund abgeraten. Es sollen noch immer Steine auf diejenigen niederprasseln, die es trotzdem wagen mit dem Wagen. An den anderen Tagen aber bietet sich ein Bild wie aus einer anderen Welt. Es dominieren die schwarzgekleideten Herren mit ihren Schläfenlocken und Frauen in Röcken mit ihren Ausgehperrücken (die orthodoxe Antwort auf das Kopftuch). Muss man gesehen haben.
Ich frage mich nur, warum die meisten Männer, wenn Sie nicht gerade in irgendwelchen religiösen Schriften versenkt sind, ständig am Telefon hängen? Diskutieren sie theologische Fragen oder haben sie einen direkten Draht zu Jahwe? Denn ansonsten müssen sich die Frauen um die Kinder kümmern und den Haushalt schmeißen (nicht immer einfach, wenn man nach jüdischen Regeln kochen muss) und manchmal auch das Geld verdienen, damit sich der Mann mit Leib und Seele dem Studium der Tora widmen kann.
Die Liste der To-Dos in Jerusalem ist noch ewig lang, daher will ich nur ein paar Dinge noch kurz aufzählen: Auf jeden Fall sollte man die beeindruckende Yad Vashem Holocaust Gedenkstätte gesehen haben. Und auch das Israel Museum mit den Qumran-Rollen, den ältesten Schriftstücken der Bibel, ist einen Besuch wert. Die Western Wall Tunnel Tour habe ich nicht geschafft, aber sie soll einen fantastischen Eindruck geben, wie lang diese Tempelumfassungsmauer (deutlich länger als dieses Wort) einst gewesen sein muss. Beste Aussichten auf Jerusalem gibt es von der Mauer der Altstadt aus, die gegen Eintritt bestiegen werden kann. Jeden Donnerstag und Sonntag kann man die Knesset besuchen und sich vergegenwärtigen, dass Israel eine der wenigen Demokratien in dieser Region ist. Und wer noch immer nicht genug hat, kann sich dem heimlichen israelischen Nationalsport hingeben: Shopping! Erst vor wenigen Jahren hat eine riesige Shopping Mall vor dem Jaffa Tor seine Pforten geöffnet.
Und das war nur Jerusalem. Palästinensische Taxifahrer bringen einen auch gerne nach Bethlehem (nein, nicht gefährlich aber man darf nicht mit dem israelischen Mietwagen hinfahren), nach Nazareth, es gibt Touren nach Hebron, geführt von ehemaligen Mitgliedern der Israelischen Armee: https://www.breakingthesilence.org.il/
Dann aber viel Spaß aber bei der Ausreise. Denn am Flughafen gibt es wieder eine Befragung. Und wer ehrlich antwortet, dass er in den Palästinensischen Gebieten war, der verlängert seine Prozedur schnell mal um mindestens 25 weitere Fragen.
Vor meiner Rückreise geht es dann nach Tel Aviv. Dort übernachte ich am letzten Tag in der Nähe des Flughafens, da mein Flieger um 6 Uhr morgens geht (Drei Stunden vorher dasein!). Nach dieser Reise werde ich zum Frühaufsteher (NOT!) …