Wir mussten um 2:40 Uhr morgens aufstehen, um unseren Zug nach Chiwa zu erwischen. Es ist eine nette Abwechslung verschiedene Transportmittel zu kombinieren, um eine Vielzahl von Erfahrungen zu sammeln und den Menschen in ihrem Alltag nahezukommen. Nachdem wir mit dem Auto, auf dem Pferderücken, zu Fuß und auf Kamelen unterwegs gewesen sind, wollten wir die Strecke von Buchara nach Chiwa mit dem Zug zurücklegen. Chiwa ist (geographisch) die westlichste Stadt, die wir in Usbekistan besuchen. Dort sollen sich weniger Touristen als in Buchara oder Samarkand herumtreiben. Zum einen, weil sie kleiner ist – vor allem aber weil sie weitab von den anderen touristischen Hotspots liegt. Mit dem Zug sollten es etwas mehr als sechs Stunden sein. Es wird allerdings bereits an einer Strecke für den Bullet-Train, den Schnellzug gebaut.
Ein Taxi holte uns um 3:00 Uhr morgens ab, da der Hauptbahnhof rätselhafterweise 25 km außerhalb von Buchara liegt.
Dort machten sich noch weitere verschlafen wirkende Touristen und etliche Einheimische auf den Weg zum Bahnsteig. Es gibt keine Über- oder Unterführungen, um zu den anderen Bahnsteigen zu gelangen, daher mussten wir alle die Gleise überqueren. Inom hatte für uns einen Schlafwagen gebucht, da zur Zeit alle Tickets für den Tageszug ausverkauft sind, und so mussten wir mit einem Nachtzug fahren.
Der Zug war enorm lang, 14 Waggons plus ein Bordrestaurant. Unser Waggon war die Nummer 14, also gingen wir bis ans Ende des Zuges und hievten unsere schweren Taschen in den Waggon.
Es war ein alter sowjetischer Wagen, und als wir im Dunkeln einstiegen, tasteten wir uns langsam durch einen schmalen, schwach beleuchteten Gang, mit schlafenden Menschen rechts und links. Füße hingen in den Gang, Leute schnarchten, andere unterhielten sich leise. Ein Schlafwagen bedeutete nicht, dass man ein eigenes Abteil bekam, es bedeutete lediglich, dass die Sitze zu einfachen Liegen mit Matratzen umgeklappt wurden, zwei unten, zwei oben und zwei auf der anderen Seite des Ganges.
Es war sehr stickig und heiß dort, und man konnte die Fenster nicht öffnen. Etwas ratlos standen wir vor unseren drei reservierten Betten mit unseren großen Taschen und wussten nicht, was wir als nächstes tun sollten. Wir hatten unsere Schlafsäcke in Taschkent gelassen, und es wäre ohnehin viel zu heiß für sie gewesen. Eines unserer Betten war von jemand anderem belegt, und Inom ließ ihn umziehen. Dann verschwand er und tauchte mit drei Plastiktüten auf, die frisch gewaschene Bettwäsche enthielten. Ein Kissenbezug, ein Bettlaken und ein Oberlaken, alle frisch gestärkt und gebleicht. Sie rochen sauber, und so machten wir jeweils unsere Betten, verstauten unser Gepäck darunter oder oben und legten uns für ein paar Stunden unruhigen Schlafs hin. Trotz des sanften Schwankens und Rhythmus des fahrenden Zuges wurden wir nicht in einen langen Schlaf gewiegt, es war zu heiß, und das Schnarchen war erheblich. Der Tagesanbruch begann um 5:00 Uhr, und um 5:30 Uhr war es bereits hell. Die Fahrt sollte etwa 6 Stunden dauern.
Also waren um 8:00 Uhr fast alle wach und machten sich so gut wie möglich frisch. Zum Glück haben die olten Sowjetwaggons einen integrierterten Samovar mit heißem Wasser, dazu gibt es für jeden Teegläser und -beutel.
Zwei Frauen in ihren Vierzigern saßen auf der anderen Seite des Ganges, und wir begannen ein nettes übersetztes Gespräch mit ihnen mit Inoms Hilfe.
Kontakte zu knüpfen ist hier in Usbekistan einfach, sich verständlich zu machen ist jedoch eine größere Herausforderung. In der Schlange vor der Toilette wurde Chris auf Russisch angesprochen, da jemand dachte, er sei Russe. Das führte zu einem interessanten, aber kurzen Gespräch. Denn auch wenn Chris ein paar Brocken Russisch beherscht, reicht es nicht für eine vertiefendes Gespräch. Die beiden Frauen hingegen fragten Inom nach uns, da wir die einzigen Touristen in unserem Waggon waren und es wohl eher untypisch ist hier Leute anzutreffen die sich auch die deutlich bequemere Anreise im Flugzeug hätten leisten können.
Bald lachten wir und tauschten Frühstückssnacks und Bilder unserer Familien aus. Besonders Ticktack-Omi (Die Urgroßmutter) mit ihrem rosa Haarbüschel und ihrem stolzen Alter von 101 Jahren erhielt jede Menge bewundernde Ahs und Ohs. Die Zeit bis zu unserer Ankunft in Chiwa verging dank diesem Smalltalk wie im Fluge, zumal die Landschaft draußen nur aus Wüste bestand, soweit das Auge reichte. Obwohl wir nicht viele Nächte in solchen Zügen verbringen möchten, fühlte es sich gut und richtig an, mitten unter normalen Usbeken zu reisen.
In Chiwa angekommen, nahmen wir ein Taxi für die kurze Fahrt zu unserem Boutique-Hotel direkt gegenüber dem Haupttor der Stadt. Die Seidenstraßen-Karawanserei war eine umgebaute kleine Medresse mit nur 12 Zimmern, alle schön renoviert, aber die kuppelförmigen Räume und der Innenhof sind original erhalten geblieben, auch wenn später Dinge wie fließendes Wasser, Elektrizität, Air Condition und eine Dusche hinzugefügt wurden. Ein echtes Kleinod und genau der richtige Ort, um die heißen Mittagsstunden im Schatten oder bei einem Nickerchen im Zimmer zu verbringen.
Nach einer kühlen Dusche, die wir nach Stunden im heißen Zug alle dringend brauchten, genossen wir einen Cappuccino und machten uns dann auf, die Stadt zu erkunden.
Chiwa wurde um das 8. Jahrhundert gegründet, entwickelte sich aber erst im 16. Jahrhundert zu einem wichtigen Handelszentrum und zur Hauptstadt der Region. Diese Wüstenstadt hatte einige Brunnen, die durstigen Wüstenreisenden Wasser bereitstellten, daher war sie ein sehr wichtiger Anlaufpunkt für die Karawanen. Aber lange Zeit hatte sie auch einen sehr zweifelhaften Ruhm. Chiwa war die Hauptstadt des Sklavenhandels (bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts wurden hier Sklaven gehandelt), Synonym für barbarische Grausamkeit, schreckliche und gefährliche Wüstenreisen sowie für Banden gesetzloser Stämme, die unter den Reisenden und Kaufleuten Angst und Schrecken verbreiteten.
Das heutige Chiwa ist wirklich ein Schritt zurück in die Zeit, da alle originalen Gebäude, die gesamte innere Stadt erhalten und restauriert wurden. Es fühlt sich mehr wie eine Aladdin-Filmkulisse oder ein Freilichtmuseum an als eine lebendige und geschäftige echte Stadt. Es ist viel los, aber alles kommt von den Touristen, die die Stadt besuchen. Etwa 6.000 Einheimische leben noch innerhalb der alten Stadtmauern, wir schätzten, dass etwa 90 % von ihnen in irgendeiner Weise vom Tourismus leben.
Die wunderschön restaurierten Gebäude sind wirklich atemberaubend, besonders die Minarette. Und davon gibt es viele. Wir werden diese in unserem nächsten Blogeintrag ausführlich beschreiben, da wir den ganzen Tag mit der Erkundung von Chiwa verbringen werden. Wir ließen uns ein wenig durch die Stadt treiben, wo nach 15:00 Uhr überraschend wenige Touristen unterwegs waren. Das warme Licht bot sich für ein paar Fotos an.
Wir hatten einen Platz auf der Dachterrasse für den Sonnenuntergang und das Abendessen reserviert und ließen den Tag mit gutem Essen und einem Glas gekühltem Weißwein ausklingen. Leider hatte eine Gruppe deutscher Touristen einen Teil der Dachterrasse für ihr Glas ‘Champanskoje’ reserviert. Später begann eine weitere deutsche Gruppe zu beliebten internationalen Gassenhauer, live auf Oboe gespielt, ausgelassen zu tanzen. Aber hey, wir waren ja im Urlaub, also lachten wir über die Absurdität der Situation. Wir waren nur froh, dass Inom das nicht miterleben musste. Er hätte sicher Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt uns entweder einen neuen Platz zu finden oder alle von der Dachteressae zu verbannen.
Am Ende des Tages freuten wir uns auf den Nächten und waren gespannt darauf, alles noch ausführlicher zu erkunden.
Weiter zu Tag 15
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